Ein Flug von All Nippon Airways erreichte den Flughafen Frankfurt 18 Sekunden vor Ende des Nachtflugverbotes. Daher musste die Boeing 787 durchstarten. Die Deutsche Flugsicherung erklärt die Hintergründe.
Seit Monaten macht Ryanair öffentlich Stimmung gegen das Nachtflugverbot in Berlin, das in den Augen des Billigfliegers zu streng gehandhabt wird. Der klassische Aufreger für die irische Fluggesellschaft: Eines ihrer Flugzeuge kommt leicht zu spät über der deutschen Hauptstadt an, darf wegen des Nachtflugverbotes nicht mehr landen und muss zum Airport Hannover ausweichen, wo Fluggesellschaften rund um die Uhr starten und landen können.
In Frankfurt ist es nun zu einem anderen Fall gekommen, bei dem ein Flugzeug aufgrund des dortigen Nachtflugverbotes zunächst nicht landen durfte. Diese Maschine kam aber nicht abends zu spät an, sondern morgens zu früh. Geschehen ist dies am 3. Juli. Da wollte eine Boeing 787-9 von ANA All Nippon Airways aus Tokio kommenden landen - um 04:59:42 Uhr. Das waren 18 Sekunden vor Ende des Nachtflugverbotes. Der Jet musste durchstarten.
«All Nippon 203, Go-Around», hieß es von der Flugsicherung aus dem Tower, wie Discover-Airlines-Pilot Ori Gross beim Karrierenetzwerk Linkedin zuerst berichtete. Er saß zu diesem Zeitpunk im Cockpit am Boden und wartete auf den Start des Flugbetriebes am Flughafen Frankfurt, um Richtung Griechenland abzuheben. Der Airbus-A320-Pilot hörte den Funkkontakt zwischen dem Tower und der Crew von All Nippon Airways mit.
Die Boeing 787 musste also durchstarten, flog eine zusätzliche Runde südlich von Frankfurt und landete um 05:15 Uhr. Das Ergebnis: zusätzliche Flugzeit für eine Crew, die schon fast 14 Stunden unterwegs war; zusätzliche kritische Flugphasen; zusätzlicher Lärm, der durch das Nachtflugverbot ja genau verhindert werden soll; und zusätzliche Umweltbelastung.
Gegenüber aeroTELEGRAPH bestätigt eine Sprecherin der Deutschen Flugsicherung (DFS), dass die «Nichteinhaltung des erlaubten Zeitfensters der alleinige Auslöser» für die Anweisung des Go-Arounds war. Sie betont: «Eine eigenmächtige Entscheidung zugunsten der Landung hätte die Rechtslage verletzt.» Denn das Nachtflugverbot in Frankfurt, festgelegt durch das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, erlaube wenige Ausnahmen, etwa bei medizinischen Notfällen oder sicherheitskritischen Abweichungen. «Unsere Lotsen am Tower haben in dieser Situation keinen Spielraum.»
<iframe frameborder="0" scrolling="no" marginheight="0" marginwidth="0" width=650 height=500 src="https://www.airnavradar.com/?widget=1&z=7&fid=2486512184"></iframe>
Es sei korrekt, dass durch das Durchstarten zusätzliches Kerosin verbraucht, die Cockpit-Crew nach einem fast 14-stündigen Flug zusätzlich belastet und die betroffenen Anwohner möglicherweise erst recht geweckt wurden. «Dennoch können wir die Regeln nicht 'nach Gefühl' auslegen, sondern wir müssen sie sicher umsetzen», sagt die DFS-Sprecherin. «Denn: Wenn heute 10 Sekunden toleriert würden, morgen vielleicht 1 Minute und übermorgen noch mehr, wäre der Schutzmechanismus langfristig nicht mehr verlässlich.»
Pilot Gross wirft auch die Frage auf, inwieweit die Flugsicherung im Tower und in vorherigen Kontrollabschnitten sowie die Crew Möglichkeiten gehabt hätten, den Flug zu verlangsamen. Der Tower-Lotse habe auf jeden Fall Anweisungen zur Reduzierung der Geschwindigkeit gegeben. Die DFS-Sprecherin bestätigt, es «wurde versucht, die Landung von Flug NH203 so weit wie möglich hinauszuzögern – doch am Ende fehlten 18 Sekunden».
Zur Frage, inwieweit Flugzeuge schon vorher langsamer gemacht werden können, erklärt die Sprecherin der Deutschen Flugsicherung, die minimal zulässige Anfluggeschwindigkeit hänge von Gewicht, Wind und Flugzeugtyp ab – und liege der Flugsicherung nicht vor. «En-Route-Lotsen können Geschwindigkeiten zwar begrenzt beeinflussen, aber nicht unbegrenzt und nicht ohne Rücksicht auf Staffelung und andere Verkehrsströme.»
Die Sprecherin sagt zum aktuellen Go-Around, man wisse dass so etwas als bürokratisch empfunden werde. «Aber die Verantwortung für Ausnahmen oder Flexibilisierung liegt nicht bei uns. Sie liegt bei den politischen Entscheidungsträgern und den Lärmschutzkommissionen.» Mit Blick auf diese Entscheidungsträger stellt auch Pilot Gross die Frage in den Raum, ob «wir einige unserer Vorschriften überdenken sollten?»
Eine Sprecherin der Frankfurter Flughafenbetreiberin Fraport erklärt zur Grundlage: «Die Nachtflugregelung für den Flughafen Frankfurt ist im Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 zum Ausbau des Flughafens Frankfurt geregelt.» Zuständige Behörde sei das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Das sei gemeinsam mit der Luftaufsicht des Regierungspräsidiums Darmstadt auch für die Einhaltung zuständig.
Dadurch, dass planmäßige zwischen 23 und 5 Uhr untersagt seien, habe Frankfurt eine der schärfsten Nachtflugregelungen aller internationalen Luftverkehrsdrehkreuze. Allerdings seien unter bestimmten Voraussetzungen verspätete Starts und Landungen bis 24 Uhr zugelassen, zum Beispiel bedingt durch Gewitter. «Diese Verspätungsregelungen sind höchstrichterlich vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden», so die Sprecherin.