Cockpitcrews brauchen in London City eine spezielle Lizenz für den steilen Anflug – denn die umliegenden Hochhäuser lassen keinen normalen Anflug zu. Das macht den sogenannten Steep Approach besonders spannend. Worauf es dabei ankommt, erklärt ein Experte.
Seit einigen Wochen setzt Helvetic Airways am Londoner Stadtflughafen ein Zeichen – im wahrsten Sinne des Wortes: Mit der Embraer E195-E2 fliegt die Schweizer Airline im Auftrag von Swiss das bislang größte Passagierflugzeug nach London City. Der Jet misst 41,5 Meter und bietet Platz für bis zu 134 Reisende – ein Novum für den innerstädtisch gelegenen Flughafen mit seiner kurzen Piste und den steilen Anflügen. Doch Größe allein reicht nicht: Der Anflug auf LCY (so der Iata-Code) erfordert spezielle Technik, besondere Flugzeugzulassungen – und Erfahrung im Cockpit. Helvetic-Operativchef und Pilot Nicolas Bachmann erklärt im Gespräch an Bord, was den Steep Approach so anspruchsvoll macht.
aeroTELEGRAPH: Herr Bachmann, was ist der größte Unterschied für Piloten beim Anflug auf London City im Vergleich zu einem normalen Flughafen wie Zürich oder Genf?
Nicolas Bachmann: Der entscheidende Unterschied liegt im Anflugwinkel. Während man weltweit auf rund 95 Prozent der Flughäfen mit einem Standardwinkel von drei Grad anfliegt, sind es in London City 5,5 Grad – also fast doppelt so steil. Das verändert nicht nur das Flugprofil, sondern auch die Wahrnehmung im Cockpit. Die große Herausforderung liegt im richtigen Timing beim Abfangen, dem sogenannten Flare. Man fliegt diesen letzten Abschnitt manuell, und wenn man den Moment verpasst, kann das Flugzeug ungebremst in Richtung Boden gehen – was zu einer sehr harten Landung führen würde. Genau diesen Moment präzise zu treffen, ist beim Steilanflug besonders anspruchsvoll.
Heißt das, in London City wird grundsätzlich mehr von Hand geflogen?
Nicht unbedingt über den gesamten Anflug hinweg. Aber der letzte Teil – also kurz vor dem Aufsetzen – ist anspruchsvoller und kann nur von Hand geflogen werden. Die Steilheit des Anflugs erzeugt eine andere optische Illusion. Dazu kommt: Die Piste in London ist nur 30 Meter breit, statt wie üblich 45 Meter oder 60 Meter. Auch das verändert das Gefühl beim Anflug und erfordert hohe Konzentration.
Im Cockpit der E2 gibt es einen eigenen Knopf für den Steep Approach. Was steckt dahinter?
Unsere E2-Jets hatten die Hardware bereits vorbereitet – wir mussten nur noch rund 40 Mannstunden pro Flugzeug investieren, um die Funktion zu aktivieren. Der Steep Approach-Button befindet sich in der Mittelkonsole und muss vor der Endanflugphase gedrückt werden. Danach übernimmt die Software: Zusätzliche Panels an den Tragflächen werden ausgefahren, um die Sinkgeschwindigkeit besser zu kontrollieren. Diese Funktion greift allerdings nur, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind – zum Beispiel die volle Klappenstellung. Ohne den Knopf wären diese aerodynamischen Anpassungen nicht möglich, und ein sicherer Steilanflug wäre nicht durchführbar.
Wie viele Ihrer Piloten verfügen aktuell über die Steep-Approach-Berechtigung?
Etwa 35 Prozent unserer Pilotinnen und Piloten sind dafür qualifiziert. Die Zulassung erfordert neben der Ausbildung auch eine gewisse Flugerfahrung auf dem Typ. Wichtig ist aber auch die Balance: Wenn zu viele Piloten ausgebildet sind, fliegt jeder einzelne zu selten nach London City – und verliert damit die Routine. Deshalb achten wir darauf, dass diejenigen, die die Lizenz haben, auch regelmäßig dort eingesetzt werden. Die Ausbildung dauert etwa eine Woche und wir könnte je nach Bedarf bis zu 60% unserer Piloten für London City ausbilden.
Wie erlangt man eine solche Berechtigung?
Zuerst steht eine theoretische Schulung auf dem Programm, dann folgt eine technische Einweisung. Anschließend absolvieren unsere Kapitäne einen Beobachtungsflug, bei dem sie den Anflug von London City live im Cockpit miterleben. Danach geht es in den Simulator. Dort werden verschiedene Szenarien trainiert, bevor es mit einem Trainingskapitän in den realen Flugbetrieb geht. Am Ende steht ein Checkflug. Und auch danach ist regelmäßige Praxis Pflicht: Mindestens alle sechs Monate muss ein Kapitän eine Landung in London City durchführen, um die Berechtigung zu behalten.
Gibt es auch beim Abflug Besonderheiten in London City?
Auf jeden Fall. Die Startstrecke ist sehr kurz, was allein schon eine Herausforderung ist. Hinzu kommt die komplexe Luftraumstruktur rund um London – mit Heathrow, Gatwick, Stansted und weiteren Airports in der Nähe. Das bedeutet: Nach dem Start bleiben wir zunächst in niedriger Höhe, führen einen sogenannten Level-Off durch. Der Steigflug erfolgt dann in mehreren Stufen. Außerdem starten wir meist mit einem sogenannten Static Takeoff: Die Bremsen werden gehalten, während das Triebwerk bereits vollen Schub liefert. Erst dann wird losgelassen, um die maximale Leistung auf der kurzen Piste nutzen zu können.
Helvetic Airways fliegt mit der Embraer E195-E2 – dem bislang größten Flugzeug in London City. Wo liegen die Grenzen für den Einsatz dieses Jets an einem so anspruchsvollen Flughafen?
Die Grenzen sind tatsächlich eher theoretischer Natur. Bei extrem ungünstigen Bedingungen – sagen wir: tiefer Luftdruck, Rückenwind beim Start, nasse Bahn – könnte es in den oberen fünf Prozent der Beladung zu Einschränkungen kommen. Doch in der Praxis ist das kaum relevant. Auf einer Strecke wie London City – Zürich wird der Jet nie voll ausgelastet. Der E195-E2 passt deshalb hervorragend zu diesem Einsatzprofil. Für längere Strecken, etwa auf die Kanaren, müssen wir dann je nach Wetterlage genauer rechnen. Aber auch das ist grundsätzlich machbar.