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Indien in der Luftfahrt-Krise

Eigentlich birgt der Luftfahrtsektor Indiens riesiges Potenzial. Trotzdem kämpfen die Fluggesellschaften ums Überleben.

Der Markt wächst so schnell wie kaum anderswo auf der Welt. Im Juli betrug das Passagierplus bei den indischen Airlines laut Schätzungen der internationalen Luftfahrtbehörde Iata 20 Prozent. Die Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers errechnete gar ein Wachstum von 22 Prozent. Und so dürfte es weiter gehen. In den nächsten Jahren erwarten Experten im neuntgrößten Luftfahrtsektor der Welt ein Wachstum zwischen 15 und 20 Prozent – im Gleichschritt mit dem Wirtschaftswachstum. So geht etwa das Centre for Asian Pacific Aviation (CAPA) von einem Wachstum von 20 Prozent aus. Rund eine Million Menschen kommen heute noch auf drei Flugzeuge. In den USA sind es pro Flieger rund 50’000 – es ist also noch Luft nach oben da.

Umso kurioser, dass die Fluggesellschaften in dem Land fast ausnahmslos ums Überleben kämpfen. Momentan macht die angeschlagene Kingfisher Airlines Schlagzeilen. Seit Jahren schreibt die Gesellschaft aus dem gleichnamigen Bierkonzerns rote Zahlen. Zuletzt vermeldete sie den 16. Quartalsverlust in Folge. Rund 700 Millionen Euro waren es dieses Mal, doppelt so viel wie in der Vorjahresperiode. Die Schulden liegen bei fast einer Milliarde. Auch an Marktanteil musste die Fluggesellschaft einbüßen. Sie rutschte vom zweiten auf den dritten Platz ab und liegt nun erstmals hinter den Billigfliegern Jet Airways und Indigo. Indiens einst allmächtige Nationalairline Air India liegt nur noch auf dem vierten Platz.

Restrukturierung greift nicht

Restrukturierungspläne scheinen bei Kingfisher nicht zu greifen. Das führt dazu, dass in den kommenden Monaten mehr und mehr Flüge der Airline gestrichen werden dürften (aeroTELEGRAPH berichtete). Alleine in der vergangenen Woche waren es bereits rund 200. Und das schadet wiederum dem ganzen Markt. Die Preise für die stark beflogenen Strecken steigen, die Nachfrage nimmt ab – in der Folge leidet auch die Konkurrenz. Der geht es aber schon jetzt nicht bestens. Mit Ausnahme des Billiganbieters Indigo schrieben alle der sechs großen Anbieter (Air India, Go, Indigo, Jet Airways, Kingfisher und Spicejet) im vergangenen Quartal hohe Verluste. Das Centre for Asian Pacific Aviation errechnete, dass der Geldbedarf bei allen zusammen bei umgerechnet rund 1,8 Milliarden Euro liegt. Der größte Teil davon entfällt mit 1,2 Milliarden auf den staatlichen Anbieter Air India, Kingfisher dürfte aber allein in den nächsten drei Monaten mindestens 400 Millionen brauchen.

Das alles ist angesichts des stark wachsenden Marktes paradox – aber nur auf den ersten Blick. Branchenexperten gehen davon aus, dass die Marktteilnehmer das rasante Wachstum in so kurzer Zeit einfach nicht stemmen konnten. Fluggesellschaften fügten immer weitere Flieger zu ihren Flotten hinzu, um das Plus an Passagieren transportieren zu können. Dabei befanden sich junge Anbieter oft selbst noch einer finanziell prekären Lage und übernahmen sich mit immer neuen Order. Aber auch bei den Flughäfen zeigen sich die Risiken des Wachstums: Sie platzen aus allen Nähten. Immer öfter kommt es zu Problemen wegen des zunehmenden Luftverkehrs. So müssen in Mumbai die Flieger oft längere Zeit Schleifen über dem Airport drehen, um auf einen Landetermin zu warten, es kommt zu Verspätungen und Flugausfällen. Zunehmend kommt es auch zu Zwischenfällen auf Rollfeld und bei der Landung (aeroTELEGRAPH berichtete).

Hohe Gebühren an Flughäfen

Um trotzdem noch irgendwie Schritt zu halten und finanziell nicht unterzugehen, nehmen die Airports des Landes hohe Gebühren und wollen diese sogar noch erhöhen (aeroTELEGRAPH berichtete). Dadurch erhöhen sich die ohnehin schon hohen operativen Kosten der Fluggesellschaften nochmals. Diese haben bereits mit überdurchschnittlich hohen Treibstoffkosten zu kämpfen. Diese machen in Indien über 40 Prozent der variablen Kosten aus. Ein Grund dafür ist auch die schwache Rupie. Durch den Wechselkurs wird der importierte Treibstoff zusätzlich teurer. Und auch andere Kosten, wie etwa die Wartung, gehen dadurch in die Höhe. Rund 70 Prozent der Ausgaben indischer Airlines werden in Dollar abgerechnet.

Wie genau man den Aviatiksektor aus diesem Teufelskreis hinaus navigieren will, weiß man in Indien noch nicht. Die Airlines allein dürften es aber kaum schaffen. Viele fordern, dass der Staat die Steuern auf Treibstoff senkt. Diese liegen momentan bei etwa 20 bis 30 Prozent. Auch hilfreich dürfte es sein, wenn die Regierung den Markt für ausländische Investoren öffnen würde. Für diese wäre es enorm attraktiv, Geld in den boomenden Markt zu stecken. So könnte man gemäß Branchenexperten den Abwärtsstrudel aufhalten.

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