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Alitalia

«Diesmal scheint es ernst zu sein und das Ende nah»

Alitalia steckt tief in der Krise. Wie geht es weiter? Folgt das Grounding? Und wie sieht man in Italien eigentlich das Engagement von Etihad? Italien-Korrespondent Oliver Meiler antwortet.

Alitalia geht in wenigen Wochen das Geld aus. Dennoch haben die Gewerkschaften den moderaten Sanierungsplan abgelehnt, der den Weg für eine Kapitalspritze durch Investoren und Banken frei gemacht hätte. Warum?
Oliver Meiler*: Die Mitarbeiter sind der Meinung, es sei nicht richtig, dass sie alleine bezahlen müssten für die Fehler, die über Jahrzehnte hinweg gemacht worden seien. Und dann war es bisher noch immer so gewesen, dass es einen Plan B gab, dass man nachverhandeln konnte. Und diese Aussicht, es könnte wieder so sein, verleitete wohl viele dazu, Nein einzulegen. Doch wahrscheinlich war das ein Trugschluss. Diesmal scheint es wirklich ernst zu sein und das Ende nahe.

In mitteleuropäischen Ohren klingt das verrückt oder gar selbstmörderisch…
Ja, natürlich, und das ist es auch. Doch wie gesagt: Das ist der Epilog eines langen Machtkampfes mit seinen eigenen, surrealen Regeln, in dem viele Akteuere involviert sind und waren – Regierungen, Manager, Mitarbeiter mit ihren Privilegien, Gewerkschaften.

Wie stark sind denn die Gewerkschaften heute in Italien noch?
Sie sind längst nicht mehr so stark wie früher, doch immer noch stark genug, um die Arbeiterschaft in einzelnen Sektoren der Wirtschaft zu mobilisieren.

Die Regierung wird nun einen amtlichen Verwalter einsetzen müssen. Wie groß ist dessen Spielraum?
Ein Sonderkommissar ist nicht viel mehr als ein Zwangsverwalter. Eine Verstaatlichung von Alitalia komme nicht in Frage, sagt die Regierung. Man will sich jetzt sechs Monate Zeit geben, um alle Optionen zu prüfen. Doch bereits jetzt scheint klar zu sein, dass es ohne einen starken Partner nicht geht. Der Sonderkommissar könnte schnell zum Schluss gelangen, dass Alitalia nur dann eine Chance hat, wenn ein Käufer bereit ist, die Airline ganz aufzukaufen.

Wenn er Alitalia nachhaltig rentabel machen will, braucht es große Einschnitte. Das wollten die Gewerkschaften verhindern. Kann der Verwalter das wagen?
Nein, dafür ist der Verwalter auch gar nicht geschaffen in diesem Fall. Nun beginnt das allerletzte Kapitel.

Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Regierung Alitalia fallen lässt?
Sie wird sich sicher dafür einsetzen, dass ein Käufer gefunden wird. Doch viel mehr kann sie nicht tun. Staatshilfen sind ja nicht mehr zulässig. Man muss sich mal vorstellen: Zwischen 1974 und 2014 hat der italienische Staat Steuergelder in Höhe von 7,4 Milliarden Euro in Rettungsprogramme der Alitalia geschossen, also 180 Millionen Euro im Schnitt pro Jahr.

Alitalia hat in ihrer 70-jährigen Geschichte noch kaum je Gewinn gemacht. Warum leistet sich Italien das?
Weil eine nationale Airline nun mal Teil des Nationalstolzes ist, egal, wie gut es ihr geht. Und weil die Trikolore am Heckflügel einfach irgendwie in die Welt gehört. Dafür haben sich viele Politiker stark gemacht, auch weit über die wirtschaftliche Logik hinaus. Alitalia war oftmals Wahlkampfthema. Doch mittlerweile ist es so, dass die Italiener das Interesse an ihrer Airline etwas verloren haben. Es gibt allzu viele Alternativen. Selbst auf touristischen Strecken in der Nähe hat Alitalia gegen Billigflieger verloren. Und auf der früheren Paradestrecke Rom-Mailand-Rom fliegt fast niemand mehr, da fahren fast alle Italiener Frecciarossa oder Italo, die beiden Schnellzüge, einer staatlich und einer privat.

Wie ist die Stimmung in Italien gegenüber Etihad? Die Golfairline trat ja an, aus Alitalia wieder eine große Marke zu machen…
Und darüber war man ja auch froh zu Beginn. Doch der Wandel blieb aus, die Einsichten mochten nicht reifen. Das Karussell der Topmanager drehte fröhlich weiter, an den meisten Privilegien wurde festgehalten. Alitalia verliert heute 2 Millionen Euro am Tag. In den Zeitungen wird nun vorgerechnet, wie viel Geld die Airline jeden Monat braucht, um zu überleben: 55 Millionen Euro für Treibstoff, 51 Millionen fürs Personal, 35 Millionen für Miet- und Leasingverträge, 60 Millionen für Landerechte, 16 Millionen für Wartung. Noch, so heisst es, wird der Flugbetrieb normal weitergeführt. Doch wie lange das so sein wird, ist nicht so klar. Es hängt davon ab, ob ein großer Partner kommt und viel Geld in die Hand nimmt.

* Oliver Meiler ist langjähriger Italien-Kenner und Korrespondent in Rom für die Süddeutsche Zeitung und den Tages-Anzeiger.