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AF447: Szenen eines Crashs

Ein französischer TV-Sender stellte die letzten Minuten des Fluges minutiös nach. Entstanden ist ein packendes Doku-Drama.

Die Vereinigung der Angehörigen der Opfer hatte bis zum Schluss versucht, die Ausstrahlung des Dokumentarfilmes zu verhindern. Doch sie blitze vor Gericht ab. Die zuständige Richterin befand wenige Stunden vor der Ausstrahlung, dass die Nachstellung der letzten Minuten des Unglücksfluges vom 1. Juni 2009 den Klägern keine «irreparablen Schäden» zufüge. Und so konnte der französische Fernsehsender France 3 am Mittwoch 14. März spätabends in seiner Reportagesendung «Pièces à conviction» (Beweisstücke) den Film über den Absturz von Flug AF447 dennoch senden. Im Beitrag werden die letzten vier Minuten und 20 Sekunden des Airbus A330 von Air France mit Schauspielern nachgestellt, die Dialoge und Sequenzen wurden aber aus offiziellen Dokumenten entnommen. Die Macher lassen die Zuschauer mit der Information nicht alleine, sondern befragen ein Dutzend Experten zum Unfall. Entstanden ist ein spannendes, investigatives Doku-Drama.

Der Film beginnt unvermittelt. Der Zuschauer bekommt wenig Zeit, sich auf das vorzubereiten, was kommt. Bereits nach wenigen Minuten sehen wir die drei Piloten im Cockpit, die auf den Sturm über dem Atlantik zufliegen. Danach erlebt der Zuschauer die bangen Minuten, in denen die Crew alles falsch macht, was man falsch machen kann, nachdem die Pitot-Sonden zur Geschwindigkeitsmessung zufrieren. Selbst Air-France-Chefpilot Eric Schramm, der den Film nach der Ausstrahlung im Studio kommentierte, muss zugeben: «Während dem Sturz folgten sie keiner einzigen Vorschrift».Die Ereignisse im Film folgen den inzwischen öffentlichen Aufzeichnungen aus dem Cockpit. Die Filmemacher gehen nach der Nachstellung den zentralen Fragen nach: Warum funktionierten die Pitot-Sonden nicht? Und warum wurden sie nicht ausgetauscht, obwohl Air France vor dem Absturz zwölf Vorfälle von Vereisung registrierte und die Piloten vor diesem Problem warnte? Das TV-Team kommt zum Schluss, dass das zwar unverständlich, aber nicht ursächlich für den Absturz war. Denn alle befragten Piloten sagen, dass man einen A330 auch ohne Angaben zur Geschwindigkeitsanzeige noch fliegen könne.

Kritik auch an Airbus

Die Stärke des Films zeigt sich aber vor allem danach. In Gesprächen mit diversen Experten – dem Cheftrainer von Airbus, einem Autor eines Buches zu AF447 und Hobbyflieger, aktuellen und ehemaligen Air-France Piloten – erläutern die Filmemacher, wie es dazu kommen konnte, dass der Kopilot das Gegenteil von dem tat, was man hätte tun sollen. Warum zog er den Steuerhebel nach hinten und manövrierte das Flugzeug so in den fatalen Steigflug? Warum reagierte der zweite Kopilot ebenfalls nicht auf die Stall-Warnung vor einem Strömungsabriss? Warum ergriff der Flugkapitän nach seiner Rückkehr nicht das Kommando, als er die beiden überforderten Kopiloten sieht? Im Beitrag wird kein Zweifel offen gelassen, dass es menschliche Versagen war, das zum Absturz führte. Es wird aber auch dargelegt, dass gewisse Umstände unter Stress den Absturz beschleunigten. So hält ein befragter Experte die automatische akustische Stall-Warnung für ungeeignet, um von Menschen in einer Stresssituation wahrgenommen zu werden. Ein anderer Experte kritisiert die Airbus-Konstruktion der Steuerhebel, die nicht parallel geschaltet sind wie bei Boeing. Dadurch konnte in der letzten Minute der eine Kopilot den Hebel nach vorne drücken (sinken), der andere nach hinten ziehen (steigen).

Der Film «Vol AF 447 Rio/Paris : les raisons d’un crash» ist handwerklich sauber gemacht und in seiner Schlussfolgerung klar. Aber er lässt auch Fragen offen – das ist seine Stärke.

Das Protokoll aus dem Cockpit finden Sie hier auf aeroTELEGRAPH.

Den ganzen Film gibt es auf Youtube zu sehen (auf französisch):