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Fliegen nach 4U9525

«Niemand sprach bis jetzt davon»

«Wie reagiert man als Pilot auf ein tragisches Unglück wie den Germanwings-Absturz?», fragt Leser Frank Eichner. Ein Linienpilot antwortet.

Ich und jeder Pilot, den ich kenne, ist zutiefst geschockt. Das Unglück an sich ist bereits tragisch. Dass aber einer wie wir für einen willentlichen Absturz verantwortlich sein soll, das ist schrecklich und zugleich auch noch immer kaum fassbar. Für mich sind denn auch noch nicht alle Fragen beantwortet. Es braucht noch genauere Ermittlungen.

Es gibt für mich auch noch offene prozedurale und technische Fragen. Warum spricht man immer vom Anklopfen des Kapitäns? Hat er den Emergency Code nicht eingegeben? Das spezielle Klingeln hätte man auf dem Voice-Recorder hören müssen. Niemand sprach bis jetzt davon. Warum war zudem die Atmung des Copiloten hörbar? Bei Umgebungsgeräuschen von 70 bis 80 Dezibel im Cockpit ist das verwunderlich. Also trug er den Kopfhörer im Interphone-Modus alleine im Cockpit? Den braucht man sonst nur zu zweit unter 3’000 Meter Flughöhe. Und wie kann die Atmung ruhig bleiben, wenn einem das Adrenalin aufsteigt? Adrenalin schießt einem auf jeden Fall in die Adern in so einer Situation, auch bei einem Suizid.

Warum wartet man zehn Minuten?

Und noch etwas treibt mich um: Warum hat der Copilot keinen Sturzflug gemacht, wenn er Suizid begehen wollte? Was bringt es, sich dann noch zehn Minuten Zeit zu geben und nur etwas steiler als normal zu sinken? Er hätte auch in vier Minuten abstürzen können.

Nicht zuletzt ist es für mich aber auch Zeit, etwas Grundsätzliches in der Branche zu hinterfragen. Der Kosten- und Zeitdruck ist in unserer Branche heute überall zu spüren. Bei jeder Reparatur. Bei jedem Briefing. Bei jedem Boarding. Bei jedem Flugzeugwechsel. Und der Druck nimmt seit Jahren zu. Ist es vielleicht nicht Zeit für eine Entschleunigung in der Fliegerei?

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