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Das angekündigte Fiasko

Die deutsche OLT Express sucht fieberhaft einen neuen Investor. Die jetzige Eigentümerin Amber Gold hat einen zweifelhaften Ruf.

2008 schien die junge Unternehmerkarriere von Marcin Stefański bereits vorbei zu sein. Gerade Anfang zwanzig war der Pole, als er seine Firma Multikasa gegen die Wand fuhr und den Zorn Dutzender Rentner auf sich zog. Anstatt das Geld seiner rund 400 zumeist älteren Kunden zu verwalten, hatte er es auf andere Konten umgeleitet. Wegen Veruntreuung von 174’000 Zloty (rund 41’000 Euro) verurteilte ein Gericht Stefański zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung.

Doch der Abgeschriebene kehrte zurück – unter neuem Namen und mit neuer Mission. Stefański nahm den Nachnamen seiner Frau an und versprach fortan als Firmenchef Marcin Plichta mit seiner Amber Gold Kleinkunden Traumrenditen mit Edelmetallanlagen. Finanzgeschäfte alleine waren ihm inzwischen allerdings zu wenig. Plichta wollte auch zu einer großen Nummer in Europas Luftverkehrsmarkt werden. Er kaufte in Polen Regionalfluggesellschaften auf und wurde so auch zum Retter einer deutschen Traditionsairline.

Mit einem Coup gestartet

Der Traum vom Fliegen ist für Plichta aber vorerst geplatzt. Der 29-Jährige will seine eben erst aufgebaute OLT-Gruppe schon wieder loswerden. Die polnische OLT Regional Express groundete am vergangenen Freitag (27. Juli) ihre Flotte und meldete Konkurs an. Und auch die deutsche Schwester OLT Express Germany sucht einen neuen Investor. Laut Angaben von Amber Gold hat der Einstieg in die Luftfahrt Amber Gold insgesamt 63 Millionen Dollar gekostet. Woher Plichta dieses Geld nahm, kann sich niemand so genau erklären. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Danzig gegen die OLT-Eigentümerin.

Dabei startete das Luftfahrtabenteuer Plichtas im Sommer 2011 mit einem Coup. Mit seiner Amber Gold rettete er die ehemalige OLT Ostfriesische Lufttransport vor dem Untergang. Nach dem Verlust eines Riesenauftrags an die Konkurrentin Germania kämpfte die deutsche Airline ums Überleben. Sie kündigte drastische Einsparungen an. Ein Sozialplan für die konsternierte Belegschaft war bereits ausgearbeitet. Da sprang aus dem Nichts Plichta ein und versprach eine rosige Zukunft. Mehr Strecken, mehr Arbeitsplätze lautete nun die Devise. Man habe «viel vor» mit OLT, erklärte der Investor bei einem Treffen mit Angestellten der Airline Ende August 2011.

Drei Airlines übernommen

Bereits einen Monat zuvor hatte Amber Gold in Polen Jet Air übernommen, zwei Monate nach der Übernahme in Deutschland kaufte sie auch noch die polnische Yes Airways. Die drei Fluggesellschaften flogen von diesem Zeitpunkt an unter der Marke OLT Express. Plichtas Pläne waren ambitioniert: Seine OLT Express Poland sollte mit einer Flotte von elf Airbus A319 und A320 zum internationalen Billigflieger werden. OLT Express Regional mit einer ATR 42-300 und OLT Express Germany mit zwei Fokker 100, zwei Saab 2000 und einer Saab 340A sollten zur Macht im europäischen Regionalmarkt werden.

Die rasante Expansion weckte rasch Zweifel in der Branche. Wie kann ein branchenfremder, nahezu unbekannter Investor so schnell eine Luftfahrt-Gruppe formen? Auch die Behörden wurden auf Amber und OLT aufmerksam. Sie verlangten Auskunft über die Geschäftsergebnisse der Airlines. Doch Amber Gold konnte diese zumindest von der nun bankrotten Regionaltochter OLT Express Regional nicht liefern. Die Luftfahrtbehörde entzog der Airline daher die Lizenz – kurz bevor sie Insolvenz anmeldete. Ein unnötiger Schritt, findet OLT-Express-Group-Vorstandschef Jaroslaw Frankowski. «Eigentlich hatten wir versichert, bis Ende Juli die Ergebnisse vorzulegen», erklärt er gegenüber aeroTELEGRAPH. Informell habe man die Behörde aber gleichzeitig über die bevorstehende Insolvenz informiert. «Wahrscheinlich, um in einem besseren Licht dazustehen» (Frankowski) habe sie die Lizenz dann dennoch entzogen – mit der Begründung, dass die Airline die Ergebnisse nicht rechtzeitig abgeliefert habe.

Behörden hegen Zweifel

OLT-Mutter Amber Gold genoss in Polen nie einen wirklich guten Ruf. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Anlagegeschäfte mit Gold, Silber und Platin und verspricht Kunden Renditen von bis zu 14 Prozent. Erst im Kleingedruckten zeigt sich das Risiko: Die Einlagen sind nur bis zu 250’000 Zloty versichert – für eine Auszahlung gibt es keine Garantie. 50’000 Kunden will Amber Gold bis heute gewonnen haben. «Es ist eine regelrechte Provokation», schreibt der polnische Wirtschaftsjournalist Maciej Samcik in seinem Blog. Vor den Augen der Regierung würde das Unternehmen die Behörden an der Nase herumführen. Zwar sage Amber offiziell stets, sie sei keine Bank, werbe aber auf riesigen Plakaten in Warschau mit genau solchen Dienstleistungen.

Das Vertrauen der polnischen Finanzaufsichtsbehörde genießt das Unternehmen jedenfalls nicht. «Amber Gold hat keine Lizenz von uns, Geld von Kunden für Risikogeschäfte entgegen zu nehmen», sagt Lukazs Dajnowicz, Sprecher der Finanzaufsicht KNF. Der Finanzdienstleister steht daher auch auf der Schwarzen Liste der Behörde. Ohne Grund, findet Amber Gold. Wie es in einer Pressemitteilung des Unternehmens heißt, habe man die Finanzbehörde daher verklagt. Sie habe nie genau dargelegt, was dem Unternehmen vorgeworfen werde. Daher verlangt Amber Gold eine öffentliche Entschuldigung für die «Stigmatisierung» sowie den Rückzug der Warnung. «Die KNF ist von niemandem kontrolliert. Daher haben sie das Gefühl, jede Firma einfach auf die Schwarze Liste setzen zu können», sagt OLT-Vorstand Frankowski. Man kämpfe seit Wochen dagegen und lasse sich das nicht gefallen.

Staatsanwalt schaltet sich ein

Völlig aus der Luft gegriffen sind die Zweifel der KNF aber offenbar nicht. «In der Tat ermittelt die Staatsanwaltschaft Danzig gegen Amber Gold», bestätigt Sprecherin Grazyna Wawryniuk gegenüber aeroTELEGRAPH. Vorgeworfen werde dem Unternehmen ein Verstoß gegen Artikel 171, Absatz 1 des polnischen Bankengesetzes. Amber Gold nehme Geld an und gewähre Kredite und Darlehen, obwohl das eigentlich nur Banken dürften. Eine Lizenz dafür besitzt das Unternehmen aber nicht. «Vorbereitungen für die Ermittlungen laufen seit 2010.» Zu einer Anklage sei es aber noch nicht gekommen. «Ob es dazu kommt und wann, ist schwierig zu sagen», sagt Wawryniuk. Amber Gold selbst habe nie etwas über Details der Untersuchungen erfahren, erklärt Frankowski gegenüber aeroTELEGRAPH. Bereits früher habe die Behörde zwei Mal gegen das Unternehmen ermittelt. Beide Male sei das Verfahren eingestellt worden. Und schon gar nie sei es zu einer Anklage gekommen, betont auch er. «Gar nie!»

In Blogs und Zeitungsartikeln werfen Journalisten Amber zum Teil aber noch viel mehr vor. «Unlautere Geschäfte» ist dabei noch eine der sanfteren Beschuldigungen. Von einem «Pyramidensystem» oder «Schneeballsystem» reden andere. Diese Vorwürfe sind laut Amber Gold unhaltbar. Firmenchef Plichta habe sich der Presse gestellt und glaubwürdig klargemacht, dass die Geschäftsgrundlage von Amber Gold kein Schneeballsystem sei. Vielmehr stecke hinter Zahlungsproblemen und damit auch hinter dem Grounding der Fluggesellschaft OLT Express Regional etwas ganz anderes. Vor rund drei Wochen habe die Hausbank von Amber Gold sämtliche Konten gekündigt. Frankowski: «Sie sagten, sie seien gezwungen worden, die Geschäftsbeziehungen zu beenden.» Man fand zwar eine neue Bank, aber auch die zog sich nach nur einem Tag wieder zurück. «Ohne eine Bank in Polen, welche die grundsätzlichen Dienstleistungen für uns übernimmt, waren sowohl die Kunden von Amber Gold als auch OLT gleichermaßen betroffen», erklärt der OLT-Polen-Chef. Außerdem konnte man so dem Zahlungsabwickler keine Bankgarantie mehr geben, der Geldfluss war unterbrochen. Die Airline musste mit den verbleibenden Reserven auskommen – und die reichten bis zum vergangenen Freitag.

Deutsche Tochter will raus

Besonders schade sei das, weil man auf gutem Weg gewesen sei, klagt Frankowski. Der Sitzladefaktor sei von April bis Juni von 63 auf 75 Prozent gestiegen. Mitte Juli habe man laut eigenen Angaben im Inlandsmarkt einen Marktanteil von 79 Prozent erreicht und 340’000 Passagiere transportiert. «Das ist drei mal mehr als LOT». Mit der polnischen Nationalairline hatte sich die neue Fluggesellschaft einen harten Preiskampf geliefert. Auch das stuften Marktbeobachter als riskant ein.

Das scheint nun auch die deutsche OLT alarmiert zu haben. Zwar habe die Pleite der polnischen Schwester keine direkten Auswirkungen auf die eigene Airline, heißt es am Sitz in Bremen. Man agiere unabhängig. Aber man scheint gleichzeitig auch froh zu sein, wenn man das Abenteuer Amber Gold bald beenden könnte. «Sicherlich ist es ziemlich fraglich, was bei dem polnischen Investor geschieht», heißt es aus OLT-Kreisen gegenüber aeroTELEGRAPH. So wirklich einschätzen könne man nicht, was bei der Danziger Firma eigentlich vor sich gehe. «Es ist ein anderes Land mit einer anderen Sprache und das Thema ist sehr kompliziert.» Aber ein wenig merkwürdig sei das alles schon. Daher wolle man sich schnell aus der Beziehung mit Amber Gold lösen. Immerhin hat man einen Ruf zu verlieren. OLT wurde 1958 gegründet und ist damit eine der ältesten Fluglinien Deutschlands.

Interessenten melden sich

Der schnelle Eigentümerwechsel könnte auch gelingen. «Wir versuchen jetzt die Flucht nach vorn», erklärt OLT-Sprecher Matthias Burkard. Der polnische Geldgeber habe signalisiert, dass er sich völlig aus seinen Luftfahrtaktivitäten zurückziehen wolle. Man sei daher auf der Suche nach einem Investor, heißt es. Gespräche habe man schon aufgenommen und die verliefen «recht positiv» «Es sind auch schon Kaufinteressenten von sich aus auf uns zugekommen.»

An den Wachstumsplänen hält die deutsche Airline deshalb fest. «Wir werden unsere soliden Expansionspläne mit Nachdruck weiter verfolgen», lässt sich Chef Joachim Klein in einer Medienmitteilung zitieren. Erst am 5. Juli hatte er den erfolgreichen Kauf der Stuttgarter Konkurrentin Contact Air bekannt gegeben – nachdem im Mai die Übernahmeverhandlungen im letzten Moment gescheitert waren. Mit dem Kauf wächst die Zahl der Mitarbeitenden auf einen Schlag von 200 auf rund 500 Beschäftigte. Auch die Flotte verdoppelt sich ab September, wenn OLT den Betrieb von Contact offiziell übernimmt. Statt sieben besitzt die Fluglinie künftig 15 Flugzeuge – zehn Fokker 100, vier Saab 2000 und eine Saab 340.

Aus der Vergangenheit gelernt?

Von Plichtas Luftfahrtgeschäften bleibt innerhalb kürzester Zeit nur ein Scherbenhaufen. Dabei gelobte er nach seiner letzten Verurteilung noch Besserung: «Ich habe Jugendsünden begangen. Unsere damaligen Kunden wurden entschädigt und ich will sicher nicht dieselben Fehler noch einmal machen», erklärte er 2010 gegenüber der polnischen Zeitung Gazeta Wyborca. Vielleicht behält er aber auch so oder so Recht. Denn im Vergleich zu den Millionenbeträgen, die nun bei OLT und Amber Gold auf dem Spiel stehen, waren die abgezweigten 174’000 Zloty von 2008 nur Kleingeld.

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