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AF447 oder MH370

Mathe-Formel spürt verschollene Flugzeuge auf

Das Bayes'sche Theorem ist 250 Jahre alt. Mit ihm kann man Stecknadeln im Heuhaufen finden – oder vermisste Flugzeuge. Die Formel half etwa bei Flug AF447 und könnte auch bei MH370 zum Erfolg führen.

Als Thomas Bayes sein Theorem verfasste, gab es noch nicht einmal Flugzeuge. Erst posthum wurde die Formel des britischen Mathematikers und presbyterischen Pastors 1763 im Aufsatz «Ein Essay über das Lösen eines Problems in der Doktrin der Wahrscheinlichkeit» veröffentlicht.

Heute wird die Formel hauptsächlich zur Suche vermisster Schiffe eingesetzt. Aber auch bei Flugzeugabstürzen ohne viele Anhaltspunkte kann sie sehr hilfreich beim Auffinden des Flugschreibers sein. Unter anderem dank ihr fand man den im Atlantik verschollenen Air France Flug 447 – und mit ihr sucht man noch heute im Indischen Ozean nach der Malaysia Airlines MH370.

Sowjetische U-Boote und Flugzeugwracks

Autorin Sharon Grayne, die das Buch «Eine Theorie, die nicht kaputtzukriegen ist» verfasste, sagt, dass die Regel sich über zwei Jahrhunderte immer wieder bewährt habe – sei es, um den Enigma-Code, mit dem die Nazis im Zweiten Weltkrieg kriegsrelevante Nachrichten verschlüsselten, zu knacken oder im Kalten Krieg sowjetische U-Boote zu orten: «Die Schönheit des Bayes’schen Theorem ist, dass man einfach mit einer Hypothese loslegen kann – und die muss nicht einmal besonders gut sein.»

Dabei verfolgt man sich widersprechende Informationen über die Fundorte von Wrackteilen sehr genau und passt seine Vermutungen immer wieder auf Basis neugewonnener Einsichten an. Keine einzige Information wird dabei jemals weggeworfen. Wenn zum Beispiel ein kleiner Fleck auf einem Satellitenbild sich als Flugzeugüberrest bestätigt, dann folgt daraus eine Wahrscheinlichkeit, dass das Zielobjekt um die Meeresströmung bereinigt in einem gewissen Gebiet liegt.

Im Zentrum der Suche nach AF447

Am 1. Juni 2009 stürzte der Air France Flug AF447 mit 228 Passagieren und Kabinenbesatzungsmitgliedern auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris ab. Zwei Jahre dauerten die Bemühungen, die Black Box zu finden, vier intensive Suchmissionen brachen erfolglos ab. Dabei waren schon eine Woche nach dem Absturz Flugzeugteile gefunden worden, so dass man den Suchradius auf 130 Kilometer beschränken konnte

 

 

PrE(H) = Pr(H)PrH(E)/[Pr(H)PrH(E) + Pr(−H)Pr−H(E)]

Theorem von Thomas Bayes

 

Doch als die Hoffnung fast verloren war, schaffte es ein kleines Team von amerikanischen Statistikern, den Absturzort sehr präzise zu prognostizieren: «Die Bayes’sche Methode war ausschlaggebend für unseren Erfolg», sagt J. Van Gurley, Experte bei Metron, einem wissenschaftliches Beratungsunternehmen in der Nähe von Washington D.C., das sich mit 170 Mitarbeitenden auf angewandte Mathematik konzentriert.  «Bei der Bayes’schen Regel handelt es sich um eine sehr einfache Idee», erklärt der 51jähriger Statistiker, «Es ist eine strukturierte Methode, die Wissenschaftler zwingt, alle verfügbaren Informationen in Betracht zu ziehen und ihnen einen Wahrscheinlichkeitsfaktor zuzuordnen.»

Erfolg mit Fundorten und Fehlalarmen

Die französische Flugsicherheitsbehörde BEA hatte das Unternehmen Metron im Juli 2010 beauftragt. Zunächst spuckte das Bayes’sche-Modell von Metron keine sinnvolle Spur aus. Erst, als das Team von Wissenschaftlern ihr Modell weiter verbesserte, konnten sie am 20. Januar 2011  einen wahrscheinlichen Fundort für den Flugrekorder ausrechnen. Genau dort fand die Expedition das Teil im Mai 2011 nach einer Woche Suche mit einer Unterwasser-Drohne: «Entscheidend für unseren Erfolg war es, nicht nur die Orte ins System zu geben, an denen man Flugzeugüberreste gefunden hatte, sondern auch all die Orte, an denen man vergeblich gesucht hat», sagt Gurley, «Das machte den entscheidenden Unterschied.»

Die Mathematiker, die die Überreste der AF477 im Atlantik fanden, würden auch bereitstehen, sich mit der noch immer vermissten MH 370 zu beschäftigen – nur hat sie bisher niemand beauftragt. Das Flugzeug war am 8. März 2014 mit 239 Menschen an Bord auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking vom Radar verschwunden. Seitdem gilt es als verschollen.

Auch bei MH370 eine gute Möglichkeit

Die australischen Behörden, die die Suche nach der verschollenen Boeing 777 von Malaysia Airlines Flug MH370 durchführen, benützen auch das Bayes’sche Theorem: «Wir haben Kontakt zu den Behörden dort und wissen, dass sie auch mit unserer Methode arbeiten», sagt Gurley. “Sie suchen in dem Gebiet, das auch wir nach allen öffentlich bekannten Daten als wahrscheinlichen Absturzort berechnet haben. Im vergangenen Juli war ein 18-Meter großes Flugzeugteil in Reunion an den Strand gespült worden – von diesem Ort aus wird anhand der Strömungsmuster zum Absturzort zurückgerechnet.

«Unklar ist jedoch, ob die Australier auch die Daten der bisherigen erfolglosen Suchen in das Modell eingeben – und die sind entscheidend für den Erfolg», so Gurley. «Je länger die erfolglose Suche andauert, desto wahrscheinlicher spuckt unser Modell einen noch präziseren nächsten höchstwahrscheinlichen Fundort aus.»

Nicht immer ein Erfolg

Manchmal versagt jedoch selbst das Bayes’sche Theorem beim Aufspüren vermisster Flugzeuge. 2007 sollte Metron bei der Suche nach dem Abenteurer Steve Fossett helfen. Der war in einem kleinen Flugzeug über bergiges Terrain in Kalifornien geflogen  – doch konnten die Statistiker keine Anhaltpunkte liefern. Erst ein Jahr später fand ein Wanderer Gegenstände, die Fossett gehörten – recht weit weg von der vermuteten Absturzstelle.