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Absturz von Aeroflot-Flug SU892

Lost in translation – in Berlin-Schönefeld

Es war eines der schwersten Flugzeugunglücke der deutschen Geschichte: Vor dreißig Jahren stürzte eine Tupolev Tu-134 von Aeroflot bei Berlin ab. 72 Menschen starben, weil Piloten von Flug SU892 und Fluglotsen sich nicht verstanden.

Am 12. Dezember 1986 lag der Flughafen Berlin-Schönefeld unter dichtem Nebel. Die im weißrussischen Minsk gestartete Tupolev Tu-134 A von Aeroflot sollte mittags am deutschen Flughafen landen. Wegen der schlechten Sicht legten die Piloten aber einen Zwischenstopp in Prag ein. Nachmittags starteten sie erneut in Richtung Berlin.

Dort war in der Zwischenzeit die nördliche Landebahn wegen Wartungsarbeiten gesperrt worden. Arbeiter führten einen sogenannten Intensivbefeuerungstest durch, bei dem alle Lampen der Bahn angeschaltet waren, um sie einzeln überprüfen zu können. Kurz vor 17 Uhr gaben die Fluglotsen die linke Landebahn 25L für Flug SU892 frei. Der Kapitän der Aeroflot-Tu-134 erhielt auf Englisch die Anweisung auf der Bahn «two five left» zu landen. Die Piloten bestätigten die Ansage, flogen aber die gesperrte rechte Bahn 25R an.

Pilot wendete

Obwohl der Fluglotse am Radar die Besatzung zweimal auf ihren Fehler hinwies, flog die Tu-134 weiter die rechte Landebahn an. Erst als die Piloten durch die Wolken stießen, bemerkten sie ihren Fehler. Zu dem Zeitpunkt lag die Wolkenuntergrenze bei 400 Fuß, umgerechnet also 130 Meter. Statt durchzustarten, wendeten die Piloten die Maschine nach Süden, um die linke Landebahn anzufliegen. Das war fatal.

Beim Wenden streifte die Tupolev mehrere Baumgipfel und stürzte schließlich in ein Waldstück zwischen den beiden Anflugschneisen, etwa drei Kilometer vor dem Flughafen. Die Maschine fing sofort Feuer und explodierte schließlich. 72 Menschen starben

DDR-Nachrichten zurückhaltend

An Bord der Tupolev Tu-134 von Aeroflot waren 73 Passagiere, darunter 27 Schüler der Ernst-Schneller-Oberschule in Schwerin, sowie neun russische Besatzungsmitglieder. 70 Menschen starben direkt, zwei weitere erlagen später ihren Verletzungen.
Vier Tage nach dem Unglück berichtete die DDR-Nachrichtenagentur ADN, dass sowohl die Maschine in technisch einwandfreiem Zustand gewesen sei als auch die Besatzung über die erforderliche Qualifikation verfügt habe. Auch der Flughafen sei von technischer wie auch von meteorologischer Seite aus voll einsatzfähig gewesen.

Die Ursache des Unglücks sei auf «die Verletzung der Regeln des Landeanflugs durch den Flugzeugführer» zurückzuführen, so ADN weiter. Mehr Details erfuhr die DDR-Öffentlichkeit nicht – aus Rücksicht auf Moskau. Denn die Katastrophe war auf mangelhafte Englisch-Kenntnisse der russischen Piloten zurückzuführen.

Sprachwirrwarr in der Luft

Das steht auch klar im Untersuchungsbericht. «In Verletzung der Regeln der Flugsicherung wurde auf der nicht einsatzbereiten SLB (Start- und Landebahn, Anmerkung der Redaktion) die Anflugbefeuerung eingeschaltet und der Flugleiter Schönefeld-Tower gab der Besatzung während der Entphase (steht genau so im Bericht, Anmerkung der Redaktion) des Landeanfluges eine nicht zeitgemäße und unerwartete Information unter Abweichung der gebräuchlichen Phraseologie, was die Besatzung zu einer fehlerhaften Entscheidungsfindung über die Umorientierung auf die nicht arbeitende rechte SLB veranlaßte», heißt es im übersetzten Abschlussbericht der sowjetischen Expertendelegation, der aeroTELEGRAPH vorliegt. «In Verletzung der Flugregeln wurde kein Fehlanflugverfahren eingeleitet und unter den entstandenen Bedingungen war die Besatzung nicht in der Lage, den Flug ordnungsgemäß zu beenden.»

Während des Kalten Kriegs bestand Russland darauf, dass beim Flugverkehr innerhalb der Ostblock-Staaten zwischen Cockpit und Tower russisch gesprochen wurde. Nach den Regeln der internationalen Luftfahrtorganisation Icao war aber grundsätzlich Englisch die weltweite Sprache der Luftfahrt. Französisch, Spanisch und Russisch waren daneben zugelassen. So verständigten sich französische Fluglotsen mit Nichtfranzosen auf Englisch, nutzten aber Französisch, wenn Landsleute im Cockpit saßen.

Pilot wollte sich verbessern

Neben den mangelnden Sprachkenntnissen könnte auch ein weiterer Umstand dafür gesorgt haben, dass die Piloten abgelenkt waren: An Bord befanden sich neben Kapitän, Kopilot, Navigator, drei Stewardessen und zwei Sicherheitsbeamten auch ein Prüfer, der die Leistung der Piloten bei Landungen unter schlechten Sichtbedingungen bewerten sollte. Laut dem Magazin Der Spiegel sollte er überprüfen, ob der Pilot ein besseres «Minimum» erhalten könnte.

Das besagt, bei welchen Wetterverhältnissen ein Pilot noch landen darf. Die besten Aeroflot-Kapitäne hatten demnach ein Minimum von 500 Metern Fernsicht und einer Wolkenuntergrenze von 50 Metern. Und jeder Pilot versuche, in regelmäßigen Abständen seine Qualifikation zu erhöhen.