Letzte Aktualisierung: um 15:54 Uhr

«MH370 ist nationale Tragödie»

[image1]Luftfahrtexperte Gerry Soejatman erklärt im Interview, was Flug MH370 für Malaysia bedeutet, analysiert die Fakten und erklärt die Folgen.

strong>Malaysia glaubt nun offiziell, dass jemand Flug MH370 in seine Gewalt brachte. Die Piloten und ein Flugtechniker unter den Passagieren stehen im Visier. Wie beurteilen Sie das?
Gerry Soejatman*: Flug MH370 wird sich sicher in die Liste der extremsten kriminellen Luftfahrtereignisse aller Zeiten einreihen – an der Seite von 9/11 und den Dawson-Field-Entführungen von 1970. Es ist sehr viel Planung nötig, um ein Flugzeug einfach verschwinden zu lassen. Die Beteiligten müssen sich genau überlegt haben, wie man den Jet vor militärischen Radars verbergen kann. Die diversen Änderungen der Flughöhe beim Überflug von Malaysia deuten darauf hin, dass das alles sehr gezielt gemacht wurde. Auch die Flughöhe von 29’500 Fuß an der Stelle wo die Boeing 777 vom Radar verschwand, könnte ein Zeichen dafür sein. Genau dort fliegen viele B777 aus Kuala Lumpur und Singapur bei ihrem Aufstieg in Richtung Europa vorbei. Die Täter könnten dabei einen der ältesten Tricks überhaupt angewendet haben, um sich unsichtbar zu machen. Sie könnten sich an ein anderes Flugzeug angehängt haben. Dadurch werden sie auf dem Radar überdeckt. Auch das Ausschalten der Kommunikation ist nicht simpel. Wenn man das aber geschafft hat, ist der Rest relativ einfach. Das ist das Beunruhigende.

Eine Entführung ist nur eine der Szenarien, was genau passiert sein könnte. Was könnte sonst noch geschehen sein?
Entführung ist immer noch nur ein Szenario, das stimmt. Doch angesichts der bisher bekannten Details ist es das wahrscheinlichste. Es ist meines Erachtens der erste Fall, bei dem einfach ein ganzes Flugzeug gekidnapped wird. Die Szenarien eines Unglücks sind inzwischen weniger glaubhaft.

Wenn die Passagiere von Flug MH370 Opfer eines Entführers waren, warum gab es dann keine Kontaktaufnahme. Entführer haben doch in den meisten Fällen politische Ziele?
Herkömmliche Entführungssituationen führen zu einer schnellen Kontaktaufnahme, das ist korrekt. Doch es gibt auch andere Beispiele. Bei 9/11 wurde auch kein Kontakt hergestellt. Dieser Fall ist aber einzigartig und merkwürdig.

Was könnte denn ein Motiv des Entführers oder der Entführer sein?
Für mich stehen zwei Dinge im Vordergrund. Erstens könnten sie ganz einfach Aufmerksamkeit gesucht haben. Oder die Entführer wollen das Flugzeug später als Waffe einsetzen, wie auch schon vermutet wurde – etwa gegen ein Kreuzfahrtschiff. Doch das ist alles noch reine Spekulation.

Die letzten Angaben zeigen, dass MH370 sieben Stunden nach dem Verschwinden vom Radar noch umher flog. In dieser Zeit hätte der Verantwortliche alle Länder in der Region erreichen können. Warum flog er mutmaßlich über Meer weiter?
Es passt nicht wirklich zum Szenario der Übernahme des Flugzeuges. Warum will jemand eine B777 kapern um dann über Meer fliegen bis der Treibstoff ausgeht? Das könnte darauf hindeuten, dass etwas schief lief.

Ermittler vermuten ja auch, dass dem Flugzeug der Treibstoff ausgegangen sein könnte und es ins Meer stürzte. Wird des da je wieder gefunden?
Wenn das Flugzeug ins Meer stürzte, ist die Chance hoch, dass es irgendwann gefunden wird. Denn es müsste dabei viele Trümmer gegeben haben. Wenn es auf dem Meer aufgesetzt hätte und dann unterging, wäre das anders. Doch dann hätte man inzwischen wohl Rettungsboote gefunden.

Wie wird die Tragödie von Flug MH370 in Malaysia wahrgenommen?
Es ist eine nationale Tragödie. Sie unterminiert das Selbstbewusstsein des Landes in vielen Bereichen. Die Flughafensicherheit, die Luftfahrt, die Politik – alle werden in Zweifel gezogen. Viele denken, die Regierung verstecke etwas. Daneben wollen aber alle einfach wissen, was passiert ist. Denn das Land braucht die Luftfahrt für den Tourismus. Wenn das Vertrauen weg ist, ist das für Malaysia katastrophal.

Wie wird der Unfall die Luftfahrt verändern?
Das Ereignis wird sicher die ganze Luftfahrt verändern. Wie? Das hängt davon ab, was wirklich passiert ist. Der Druck wird sicher zunehmen, dass endlich Blackboxes mit Live-Übertragung kommen. So könnten solche Katastrophen verhindert werden. Andere fordern bereits ein unabhängiges Trackingsystem, das nicht ausgeschaltet werden kann. Sicherlich wird die Pilotenauswahl künftig noch strikter werden. Und auch die Passkontrolle wird sicherlich schärfer. Schließlich gelangten ja mindestens zwei Leute mit gefälschten Pässen an Bord.

[image2]* Gerry Soejatman ist Leitender Berater beim Luftfahrt-Kommunikationsanbieter Communicavia und Berater der Indonesia National Air Carriers Association.